Rudolf Greiner über Anita Wahl

Rudolf Greiner (Vorwort zum Katalog der Ausstellung „Malerei Pur“)

Anita Wahl ist 1955 in Reutlingen geboren. Stationen ihrer künstlerischen Tätigkeiten waren Stuttgart, New York und Berlin. Diese Wahlstätten zeigen genauso wie ihre Ausstellungen in Deutschland und Amerika, Japan und Frankreich, daß ihre Kunst auf eine universelle Verständlichkeit abzielt. Nichts von ihrer Heimatstadt noch von den Metropolen, in denen sie lebte, ist in ihren Bildern zu sehen. Allen Ballast einer gegenständlichen Welt, alle alltäglichen Empfindungen, Assoziationen und Psychologismen sind aus ihrer Kunst herausgehalten. Die Künstlerin geht einen konsequenten und damit unbequemen geistigen Weg. Kunsthistorisch gesehen ist dies ein Weg zwischen Konstruktivismus und Abstraktion. Formen und Farben treten dabei in den Vordergrund. Gesucht wird jenes zusammenspiel von Form und Farbe, welches das „absolute Bild“ zu erzeugen vermag. Jenes Bild das alle Fragen und Antworten unserer Existenz beinhaltet. Die Annäherung geht über die Beschränkung. Ihre Formsprache bedient sich im wesentlichen dreier Formelemente: einem angedeuteten Rechteck, einem wirbelnden, offenen Kreis und übereinandergelagerten und angelehnten Diagonalen. Diese Formen sind in ein unruhiges Verhältnis gebracht. „Kollision“ nennt sie fast alle ihre Bilder. Bei der Berührung dieser sich bewegenden Formen geschieht Seltsames. Eine ganze Welt voll neuer Bedeutungen und Möglichkeiten wird erschlossen. In der Variation dieses einzigen Formenthemas ergeben sich unerschöpfliche Möglichkeiten. Farbe als Farbe wird besonders durch die massive Größe der Bilder von Anita Wahl vorgeführt. Hier besitzt Farbe Eigenwert, Farbe ist Gewicht, Farbe ist Materie und gleichzeitig Licht. Die Farbe ist Gegenpol zur technoiden Härte der Form. Die Reinigung von der gewohnten Realität und die Klärung der Formen und Farben ist bei Anita Wahl so weit vorangetrieben, daß die Logik ihrer freien Geometrie umschlägt und mit mystischen Inhalten aufgeladen wird. Wie der Konstruktivismus einst den Expressionismus zurückdrängte, vermögen diese „Neo-Geo“-Bilder vielleicht den Einfluß der „Heftigen und Wilden Malerei“ auszugleichen.